Hänsel, Gretel und das Märchen vom Bürgergeld

Patrick Scharkowski

Neulich habe ich meinem kleinen Cousin das Märchen Hänsel und Gretel vorgelesen.
Zwei Kinder, von den eigenen Eltern in den Wald geschickt – aus purer Verzweiflung.
Zu wenig Essen, zu wenig Platz, zu wenig Hoffnung.
Die Lösung? Die Kinder loswerden. Ein Opfer, das sie bringen müssen, um selbst zu überleben.

Ich habe innegehalten. Denn so absurd dieses Märchen klingt – die Realität ist heute genauso grausam. Nur umgekehrt.

In unserem Land sind es nicht Eltern, die ihre Kinder opfern.
Sondern Eltern, die sich selbst opfern – um ihren Kindern wenigstens ein kleines Stück Normalität zu ermöglichen.
Immer mehr Menschen, die Bürgergeld beziehen, verzichten auf Essen.
Nicht, weil sie es wollen. Sondern weil sie müssen.
Damit ihre Kinder satt werden. Damit sie vielleicht mal ins Kino gehen können. Oder sich etwas kaufen dürfen, das nicht vom Wühltisch stammt.

Und währenddessen tobt in der Bundesregierung eine groteske Debatte:
CDU, CSU und SPD überbieten sich darin, Bürgergeldempfänger*innen zu diskreditieren.
Da ist die Rede von „Leistungsverweigerung“, von „sozialem Hängematten-Luxus“, von „Anreizen, endlich wieder zu arbeiten“.
Die Botschaft: Wer arm ist, hat selbst Schuld – und bekommt zu viel.

Was für ein krankes Bild.
Es entmenschlicht. Es lügt.
Und es macht politisch Karriere auf dem Rücken der Schwächsten.

Denn die Wahrheit ist: Diese Menschen kämpfen.
Nicht für Wohlstand. Nicht für Luxus. Sondern für Würde. Für ein Mindestmaß an Lebensqualität. Für ihre Kinder.
Sie verzichten. Sie organisieren sich. Sie hoffen – oft vergeblich.
Und sie werden von genau der Politik im Stich gelassen, die sich einst dem sozialen verpflichtet hat.

Dass ausgerechnet eine Regierung unter Beteiligung der SPD dieses Spiel mitmacht, ist beschämend.
Es ist nicht sozialdemokratisch, auf Menschen einzutreten, die schon am Boden liegen.
Es ist nicht gerecht, ihnen die Schuld an einem System zu geben, das sie strukturell arm hält.
Und es ist zutiefst perfide, Armut zu pathologisieren, während die Reichsten im Land Vermögen anhäufen – ohne nennenswerte Abgaben, ohne gesellschaftliche Verantwortung.

Wenn wir über „soziale Hängematten“ sprechen wollen, dann bitte über diejenigen, die ihre Milliarden in Steueroasen parken, während Kitas, Tafeln und Schulen ums Überleben kämpfen.

Das wahre Märchen ist nicht Hänsel und Gretel.
Das wahre Märchen ist das von der faulen Unterschicht, die sich auf Kosten aller anderen ein schönes Leben macht.
Und es ist Zeit, dieses Märchen endlich zu beenden.